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Der Begriff Gemeinsamer Gläubigervertreter in einem Insolvenzverfahren

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Insolvenz | © geralt (CC0), Pixabay
Gemeinsamer Gläubigervertreter in einem Insolvenzverfahren

Immer mehr Unternehmen, auch mittelständische, haben in den letzten Jahren das Begeben von Anleihen als bevorzugte Fremdfinanzierungsmethode für sich entdeckt. Solange Unternehmen erfolgreich sind, senkt dieses Strategie die Kapitalkosten und macht sie zudem unabhängiger von ihren Hausbanken. Geraten die Unternehmen aber in eine Krise, besteht die Gefahr, dass sie die daraus resultierenden Verpflichtungen nicht mehr erfüllen können. Anders als bei einem Bankkredit ist eine Prolongation bei Schuldtiteln grundsätzlich ausgeschlossen. Notleidende Schuldverschreibungen können das Management eines Unternehmens deshalb sehr schnell in eine Situation manövrieren, die einen Insolvenzantrag unumgänglich macht.

Die Rechte und Pflichten der Parteien in der Insolvenz ergeben sich bei nicht kapitalmarktorientierten Unternehmen aus der Insolvenzordnung (InsO), den Spezialgesetzen für die jeweilige Rechtsform und dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Bei Unternehmen, die Schuldtitel emittieren, greift darüber hinaus das Gesetzes über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (SchVG), das bestimmte Sonderregelungen vorsieht. Dazu gehört zum Beispiel die Möglichkeit einen gemeinsamen Gläubigervertreter zu bestellen.

Was müssen Anleihegläubiger in der Krise beachten?
Investoren versuchen in der Krise in aller Regel ihr Kapital abzuziehen, bevor ein Unternehmen Insolvenzantrag stellt und der insolvenzrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz greift. Dem Versuch, sich auf diese Weise Sondervorteile zu verschaffen, stehen aber eine Reihe rechtlicher Hürden entgegen. Der BGH hat hierzu in einem Urteil vom 8. Dezember 2015 (XI ZR 488/14) folgenden Grundsatz aufgestellt: „Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger nach § 5 SchVG sind auch für Gläubiger verbindlich, die die Anleihe zuvor wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse der Emittentin außerordentlich gekündigt haben“.

Ohnehin sind Kündigungen auch im Krisenfall nicht ohne weiteres möglich. Erst im Jahr 2016 hat der Bundesgerichtshof (Urteil vom 31.5.2016 – XI ZR 370/15) klar gestellt, dass dem Anleiheschuldner trotz Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage kein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund zusteht, sofern die Emittentin zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung bereits Sanierungsmaßnahmen nach dem Schuldverschreibungsgesetzt eingeleitet hat.

Für Anleiheschuldner von Aktiengesellschaften resultieren darüber hinaus aus der Aktienrechtsnovelle 2016, insbesondere aus der Modifizierung von § 192 Aktiengesetz, das die Pflichtwandelanleihe (Debt-Equity Swap) kodifiziert, neue Risiken. § 192 Abs. 1 Aktiengesetz erlaubt der Emittentin einer Anleihe nunmehr frei zu entscheiden, ob sie die Schuldverschreibung, ganz oder teilweise, in Geld oder in eigenen Aktien bedient. In letzterem Fall werden Anleihegläubiger von Fremdkapitalgebern zu Anteilseignern, was im Insolvenzfall sehr häufig zum Verlust des Kapitals führt. Allerdings kann ein derartiger Swap die insolvenzrechtliche Überschuldung eines Unternehmens abwenden und einen Insolvenzantrag zumindest vorübergehend entbehrlich machen. Fällt die Fortführungsprognose dennoch negativ aus, greifen für Anleiheschuldner, deren Status sich nicht verändert hat, die Sondervorschriften des Gesetzes über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (SchVG).

Welche Rechte und Pflichten hat der gemeinsame Gläubigervertreter
§ 19 Abs. 2 SchVG ermöglicht es den Anleihegläubigern durch Mehrheitsbeschluss zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Insolvenzverfahren einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger zu bestellen. Das Insolvenzgericht hat zu diesem Zweck eine Gläubigerversammlung nach den Vorschriften des SchVG einzuberufen, sofern nicht bereits zuvor ein gemeinsamer Vertreter gemäß den Bestimmungen des § 7 SchVG gewählt worden ist.

Zum gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger kann nach § 7 Abs. 1 SchVG jede geschäftsfähige natürliche Person oder eine sachkundige juristische Person bestellt werden. Handelt es sich bei dem gemeinsamen Vertreter um eine Person, die der Schuldnerin nahesteht, muss diese Person den Gläubigern vor ihrer Bestellung die maßgeblichen Umstände offenlegen. Der gemeinsame Vertreter hat die Gläubiger hierüber auch dann unverzüglich und in geeigneter Form zu unterrichten, wenn solche Umstände erst nach seiner Bestellung eintreten. Als nahestehend qualifiziert sich ein gemeinsamer Vertreter wenn er
– Mitglied des Vorstands, des Aufsichtsrats, des Verwaltungsrats oder eines ähnlichen
Organs der Schuldnerin ist,
– Angestellter oder sonstiger Mitarbeiter der Schuldnerin oder eines mit dieser
verbundenen Unternehmens ist,
– am Stamm- oder Grundkapital der Schuldnerin oder eines mit ihr verbundenen Unternehmens
mit mindestens 20 Prozent beteiligt ist,
– Finanzgläubiger der Schuldnerin oder eines mit ihr verbundenen Unternehmens mit einer
Forderung in Höhe von mindestens 20 Prozent der ausstehenden Anleihe ist oder
– Organmitglied, Angestellter oder sonstiger Mitarbeiter eines solchen Finanzgläubigers
ist oder
– auf Grund einer besonderen persönlichen Beziehung zu dem vorstehend aufgeführten
Personenkreis unter dessen bestimmendem Einfluss steht.

Die Aufgaben und Befugnisse des gemeinsamen Vertreters bestimmen sich nach den Vorschriften des SchVG, sofern die Anleihegläubiger nicht durch Mehrheitsbeschluss andere Regelungen treffen. Er hat die Weisungen der Gläubiger zu befolgen. Ermächtigen die Anleihegläubiger den gemeinsamen Vertreter zur Geltendmachung ihrer Rechte, sind die einzelnen Gläubiger zur selbständigen Geltendmachung dieser Rechte nicht mehr befugt, es sei denn, der Mehrheitsbeschluss sieht dies ausdrücklich vor.

Der gemeinsame Vertreter ist berichtspflichtig und hat bei der Ausübung seiner Tätigkeit die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu beachten. Im Falle einer Sorgfaltspflichtverletzung haftet er der den Anleihegläubigern gesamtschuldnerisch für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben. Die Haftung des gemeinsamen Vertreters kann durch Beschluss der Gläubiger beschränkt werden. Über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen den gemeinsamen Vertreter entscheiden die Gläubiger im Rahmen der Gläubigerversammlung durch Mehrheitsbeschluss.

Der gemeinsame Vertreter kann von den Gläubigern jederzeit ohne Angabe von Gründen abberufen werden. Die durch die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters entstehenden Kosten und Aufwendungen, einschließlich einer angemessenen Vergütung, trägt die Anleiheschuldnerin.

Besondere Bedeutung kommt dem gemeinsamen Vertreter, wie Eingangs schon erwähnt, in Ausnahmesituationen, insbesondere während schwerer wirtschaftlicher Krisen der Anleiheschuldnerin, zu.

Aufgabe des gemeinsamen Vertreters ist es dann, die Interessen der Anleihegläubiger wahrzunehmen. Lässt sich die Insolvenz eines Unternehmens nicht abwenden, obliegt es dem gemeinsamen Vertreter Sanierungsvorschläge zu prüfen und bei der Auseinandersetzung mit anderen Beteiligten, insbesondere dem Insolvenzverwalter und den Banken, ein für die Anleihgeläubiger bestmögliches Ergebnis zu erzielen. Diese Aufgabe wird im durch das in § 7 Abs. 5 SchVG verankerte Recht auf Auskunftserteilung seitens der Anleiheschuldnerin beträchtlich erleichtert.